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Mit Jupp ins Adlon - alles vom Feinsten
Am nächsten Tag, also Freitag, rief Jupp an, ob ich nicht schon früher kommen könnte - er langweile sich. Inzwischen hatte er im Adlon die
Juniorsuite mit Blick auf das Brandenburger Tor gemietet - kostet schlappe vier Mille die Nacht. Ich war vorher noch nie im Adlon gewesen. Mit meinem grünen BMW-Cabrio fuhr ich einigermaßen standesgemäß beim Adlon vor. Da
springen schon die Türsteher raus, reißen meine Tür auf: „Gnädige Frau …!“ Das werde ich nie vergessen - die haben mich „gnädige Frau“ genannt! Die Türsteher und Hotelpagen haben mir das Gefühl gegeben, eine
Göttin oder Prinzessin zu sein, als wäre ich der Superstar persönlich. Ich habe dann im Laufe der Monate im Adlon den Eindruck gewonnen, dass sie dort jeden Gast gleich behandeln. Ob ein Star kommt wie Claudia Schiffer oder
ich als Beatrice Hübschmann von nebenan aus Karo-Nord, das war egal. Mit dieser Begrüßung, dem Empfang durch die „Doormen“, bin ich jedenfalls sofort gewachsen und zur Prinzessin mutiert. In ihrer Begleitung gelangte ich
über den roten Teppich die Treppen hinauf in die Empfangshalle mit dem Springbrunnen in der Mitte. Dort wartete schon Jupp auf mich, er trug Anzug. Ich war im schwarzen Abendkleid, trug Stöckelschuhe und eine hochgesteckte
Frisur und hatte ganz plötzlich das angenehme Gefühl, um ein Jahrhundert zurückversetzt zu sein. Obwohl ich aus anderen Verhältnissen komme, fühlte ich mich adlig - und das lag allein an der Atmosphäre dort. Als ob ich
dazugehörte, als ob ich das Haus mitgebaut hätte. Reich habe ich mich gefühlt, wirklich reich. In jeder Hinsicht: schön, begehrt, reich! Und gleichzeitig war ich wach und offen für die überwältigenden Eindrücke in
diesem Haus. Meine Fassade war die einer Prinzessin, im Innersten aber, tief innen drinnen habe ich mich wie ein fünfjähriges Mädchen gefühlt, das zum ersten Mal im Märchenland ist. Und habe jedem ein Lächeln geschenkt.
Oben in der Suite habe ich meinen Gefühlen freien Lauf gelassen, die Fassade für einen Moment beiseite geschoben: „Ist das schön hier, ist das herrlich, oh Gott, ist das ein schönes Haus! Ich hab mir schon immer
gewünscht, eine Prinzessin zu sein, und hier kann ich das!“ Von einem Rondell, einem runden Flur mit rehbraunem Parkett, gingen das Bad und der riesige Wohnbereich ab. Auf einem antiken Tisch, ebenfalls rehbraun wie
überall das Holz im Adlon und auf Hochglanz poliert, standen der Champagner und ein riesiger Blumenstrauß. Weiter eine rehbraune Wildledercouch hinter einem schmiedeeisernen ovalen Tisch mit Glasplatte und ein naturweißer
Sessel dazu. Vom Schlafzimmer aus gelangte man in das Marmorbad mit einer Badewanne in der Mitte des Raumes und zwei Waschbecken, alles rund und großzügig gestaltet. Dieses Haus müssen Feng Shui-Meister eingerichtet haben:
alles war von großer Harmonie. Obwohl nichts wirklich zueinander gehörte, hat alles zueinander gepasst. Auf dem Bett lagen grünlich-beige Damastüberzüge, die zur Hälfte zurückgeschlagen waren. Darunter, blütenweiß und
akkurat auf Kante gebügelt, die frisch bezogenen Betten. Nie zuvor hatte ich ein so unschuldig wirkendes, rein bezogenes Bett gesehen. Fernseher und Hifi-Anlage waren in einer Kommode verborgen. Jupp öffnete die Vorhänge
im Wohnbereich: „Guck mal, das Brandenburger Tor! Ich war überwältigt - zwar war es nicht die Präsidentensuite, aber immerhin eine luxuriöse Suite, in der ich meine nächsten Tage verbringen sollte. Ich ließ mich auf
der Couch nieder und Jupp sagte: „Okay, ich schlage vor, wir gehen erst mal essen.“ In dem Moment fiel mein Blick auf eine schwarze Mappe, die Speisekarte für den Room-Service. Room-Service? Und während er mir
irgendwas erzählte, habe ich die Speisekarte überflogen: Austern, Rehrücken, Hummer; dann Wörter, die ich vorher noch nie in meinem Leben gelesen hatte, diese ganzen Marinaden und verschiedensten Soßen - alles auf
Französisch. „Also wenn ick heute schon Prinzessin spiele, weeßte, wat ick noch nie jemacht habe? Ick hab noch nie im Hotelzimmer gegessen.“ Wir haben Austern bestellt - hatte ich noch nie gegessen - und als
Hauptgericht für Jupp „Rinderfilet im Kartoffelring mit Cabernet-Sauvignon-Sauce und Bohnen im Parmaschinken-Mantel“. Nach einer Weile rollten die Pagen einen Tisch auf Rädern herein, öffneten eins der Fenster, zogen die
Gardinen auf und schoben den Tisch direkt vor das geöffnete Fenster. Jetzt hatten wir freien Blick aufs Brandenburger Tor. Dann klappten sie den Tisch aus - der war jetzt dreimal so groß wie vorher und rund. Meine Austern
waren mit einer Haube abgedeckt und Jupps Hauptgericht stand auf einer Wärmeplatte unterhalb der Tischplatte. Die Pagen haben uns einander gegenüber platziert: „Gnädige Frau ...“ Das war deren Schlagwort! Oder auch:
„Madame ...“. Ich wollte gerade Platz nehmen und kaum, dass ich das Polster berührte hatte, schob mich der eine schon mitsamt dem Stuhl an den Tisch, in einer einzigen fließenden Bewegung. Dann griffen beide nach den
Abdeckhauben und hoben sie synchron ab: „Austern mit Zitrone für die gnädige Frau! Das Rinderfilet für den Herrn! Wir wünschen guten Appetit!“ Die ersten Austern meines Lebens - ich war verwundert über den salzigen,
fischigen und doch erfrischenden Geschmack. An diesem Tag habe ich mich in Austern verliebt. Und wie ich so meine Austern schlürfe, schweifen meine Blicke durch dieses unendlich schöne Zimmer, immer auf der Suche nach Dingen,
die meine Augen noch mehr zum Leuchten bringen. Als ich in den Fenstergiebel schaue, sehe ich ein rundes Fellknäuel, schwarz, grau-beige, so groß wie eine Zigarettenschachtel. Und ich frage mich, wieso der Innenarchitekt da
oben ein Plüschtier angebracht hat. Mein Blick wandert in den anderen Fenstergiebel - kein Plüschtier! Wieso hat der da nicht auch ein Plüschtier angebracht? Jupp guckt mich an: „Is was?“
Da schießt es mir durch den Kopf: „Das ist kein Plüschtier, das ist echt!“. Ich sage zu Jupp: „Ich weiß nicht, guck mal da oben, da sitzt ein Tier.“ Er wird ganz unruhig, kriegt einen Schweißausbruch und
zappelt auf seinem Stuhl: „Wat is, wat siehste denn?“ „Ick gloob, det is ’ne Fledermaus.“ „Wat?! ’ne Fledermaus?“ Er nimmt seine Brille, und guckt hoch: “Tatsache, ’ne Fledermaus.“ Sein Gesicht wird
rot. „Mach’n wa ’n jetzt?“ „Ach weeßte wat, bevor unser Essen kalt wird - die schläft doch.“ Als ich aber meine nächste Auster zur Hand nehme und schlürfe, fängt das Vieh an zu gähnen, mit weit
aufgerissenem rosa Mäulchen - man konnte die Zähne sehen - und streckt einen Flügel. „Ick glaube, jetzt wird se wach.“ „Nee, nee, also denn, nee, so kann ich nicht weiter essen.“ Jupp rennt zum Telefon:
„Zimmer 616, ja; wir haben hier bei unserm Dinner ’ne Fledermaus“ - der hat das ganz förmlich gemacht - „Bitte kümmern Sie sich, aber schnell.“ Er wird richtig böse am Telefon, während ich das zum Piepen finde. In
so einem Haus eine Fledermaus! Geil! Die Pagen kommen ziemlich schnell, ein älterer längerer Deutscher und ein jüngerer kleinerer Italiener, wie Lehrling und Meister. Jetzt gucken wir zur viert auf dieses Vieh. Und der
Kleine: „Was machen wir denn jetzt?“ Der wollte schon eine Haube vom Essen nehmen. „Doch nicht die Haube“, sage ich. Da schnappen sie sich einen Papierkorb und den hoteleigenen Regenschirm aus dem Flur und gehen damit
auf die Jagd. Der Lange hält den Korb unter die Fledermaus und der Kurze versucht, sie mit dem Schirm da rein zu stupsen. Doch genau in diesem Moment flattert sie los. Aber nicht etwa raus durch die geöffneten Fenster,
sondern wild durch das etwa acht Meter lange Hotelzimmer. Dabei macht das Vieh unheimliche Zischlaute, fliegt hin und zurück, und wieder hin und zurück. Jedes mal, wenn es auf uns zukam, haben wir uns geduckt, weil einem
sofort durch den Kopf ging: Was passiert, wenn es sich in den Haaren verfängt? Das Vieh war ja riesig. Jetzt befanden wir uns alle in so einer Art La-Ola-Welle: Wenn die Fledermaus ankam, duckten wir uns runter - alle vier,
die zwei Pagen, der dicke Jupp und ich -und wenn sie weg war, kamen wir wieder hoch und haben geguckt, wo sie hingeflogen ist. Dann alle wieder runter und alles von vorne. Da schoss mir durch den Kopf: Die haben doch ein
Ultraschallsystem, die können sich gar nicht in den Haaren verfangen. Die umfliegen jedes Hindernis. Ich bin also vorsichtig oben geblieben und konnte jetzt in Ruhe das Treiben beobachten: Wie die drei Männer die La-Ola
fortsetzten, also Fledermaus kommt, alle runter, Fledermaus ist weg, alle wieder hoch. Schließlich landete sie mit letzter Kraft an einer hellbeigen Gardine - da hing sie außer Atem, der kleine Körper bebte vor Erschöpfung,
das Herz pulsierte vor Angst und Schrecken. Die Pagen, noch bewaffnet mit Schirm und Papierkorb, schlichen sich langsam ran an das Tier, der Kleine hat mit dem Regenschirm draufgehalten, rein in den Papierkorb, hin zum Fenster
und ausgeschüttet. Aber da war keine Fledermaus, die wegflatterte. Die stand wie ein Spatz auf dem Regenschirm - die hing nicht wie eine Fledermaus - die stand! Der kleine Page versuchte sie abzuschütteln. Aber die klammerte
wie ein Vogel, der nicht fliegen will. Da hat der Lange den Schirm übernommen und der Kleine musste mit den Händen an das Tier ran, um es zu verscheuchen. Und endlich flog die Fledermaus davon - Richtung Brandenburger Tor.
Jupps Essen war kalt, meine Austern sowieso. Eiskalt. So wie es sein sollte. Ich ließ es mir schmecken.
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